Licht. Spuren. Malerei. – Peter Lodermeyer

I. Eines der Kriterien dafür, dass eine Künstlerin ihren eigenen Weg, ihr Thema und ihre gestalterischen Mittel gefunden hat, besteht darin, dass sich ihr Werk von einem gewissen Zeitpunkt an keiner gängigen Stilrichtung mehr zuordnen lässt. Die Arbeiten von Sabine Fernkorn entsprachen bis zum Jahr 2000 dem, was man von einer anspruchsvollen und zeitgemäßen Interpretation gestischer oder informeller Malerei erwarten kann. Was sich nach ihrem Umzug von Köln nach Bonn und – vermutlich entscheidender – ihrem Wechsel von der Öl- zur Acrylmalerei herausgebildet und bis heute weiterentwickelt hat, entzieht sich jedoch geläufigen Klassifikationen. Wenn Fernkorn ihre Kunst seit 2002 in eigenwilliger Schreibung als „LichtsPUREnMALEREI“ bezeichnet, ist dies weder als Stilbegriff noch als Konzept gemeint. Das Wort benennt den hohen Anspruch an ihre Malerei und deutet zugleich deren zentrales Thema an. Um „pure“ Malerei handelt es sich in dem grundlegenden Sinn, dass diese Bilder aus rein malerischen Mitteln und Prozessen entstehen. Das hat weniger mit den puristischen Ideologien der Moderne, ihren ästhetischen Reinheitsgeboten und Sündenregistern zu tun als mit der schlichten Tatsache, dass diese Malerei sich ganz auf die Verwendung von Pinsel und Farbe, Verdünner und Firnis sowie die Bildträger Baumwolle oder Papier beschränkt. Ebenso wichtig ist, dass sie gegenständliche Referenzen vermeidet und weder Zwischenmedien wie Fotografie oder elektronische Bildbearbeitung zulässt noch auch vorbereitende Zeichnungen oder Skizzen. Man muss das Wort „Lichtspuren-Malerei“ in seiner Dynamik verstehen: als Geschehen, als Dialog mit den Malmitteln, wobei die Malerin ständig auf das reagiert, was das Farbmaterial in seiner Eigenheit auch an Unerwartetem hervorbringt. Lichtspuren-Malerei macht mit ihren spezifischen Mitteln sichtbar, was ihr und nur ihr möglich ist. „Pur“ ist sie, weil sie nur diese malerischen Prozesse und deren Ergebnisse selbst zum Thema hat.

II. So wie manche Literaturkritiker behauptet haben, dass es in der Literatur nur zwei große Sujets gebe, Liebe und Tod, so könnte man mit guten Gründen sagen, dass die Malerei als Malerei ebenfalls nur ganz wenige Themen kenne: Licht ganz sicherlich, Farbe ohnehin, Form... und schon gerät man ins Stocken. Licht also, Lichtspuren, Spuren des Licht, genitivus subjectivus oder objectivus? Spuren, die das Licht hinterlässt, Spuren aus Licht oder Spuren, die zum Licht führen? Alle diese Möglichkeiten gibt es in Fernkorns Arbeiten. In ihren frühen gestischen Gemälden mit ihren oft landschaftlichen Anklängen war das Licht meist ein von außen auf das Bildgeschehen fallendes Beleuchtungslicht. In ihren Lichtspuren-Bildern hingegen ist das Bildlicht entscheidend, das (nicht physikalisch, aber visuell) aus den Gemälden herausleuchtet, hell und klar manchmal, oft verschleiert oder getrübt, zuweilen nur als schwaches Glimmen erkennbar. (Fernkorns Lichtspuren können auch Reflexe, Erinnerungsspuren von erlebtem Licht sein, von Landschaftslicht, bevorzugt des Lichts am Meer).

III. Die unterschiedlichen Formate, die Sabine Fernkorn verwendet, stellen ganz verschiedene Anforderungen an ihre malerische Bewältigung. Es gibt daher eine gewisse formatabhängige Phänomenologie in ihrem Werk. Die kleinen und mittleren Formate verlangen nach einer strengeren formalen Aufteilung, einem engen strukturellen Zusammenhalt der malerischen Gesten: In den nur 40 x 40 cm messenden „Quadraturen“ sind es geometrische Aufteilungen der Fläche, in den mittelformatigen „Streifungen“ parallele vertikale Bahnen, wobei die Stockungen der Pinselbewegung helle Grate und mit ihnen rhythmische Strukturen erzeugen. Je größer das Format ist, desto freier gelingt die Anordnung der einzelnen Elemente, insbesondere der Lichtspuren in ihrer irrlichternden Dynamik. (Ganz wichtig bleibt zu erwähnen, weil sich das Auge immer wieder darin täuscht: Die Lichtstreifen und -flecken sind bei Fernkorn niemals auf die Malfläche aufgesetzt, sondern leuchten als „negative“ Formen, als Aufhellungen aus tiefer liegenden Malschichten hervor, erzeugen Licht aus unbestimmter Tiefe). Als notwendige Abweichung von der Format-Regel entstehen die Arbeiten auf Papier, umfangreiche Serien, meist in DIN A4-Format, die Titel wie „Summer Papers“, „Autumn Papers“, „Winter Papers“ tragen und als freie Etüden und ausgedehnte Erkundungsgänge im unabsehbaren Gebiet der Licht- und Farbwirkungen angelegt sind.

IV. „Licht fließt, Farbe fließt“ – was sprachlich ein schiefes Bild zeichnet, benennt jedoch recht präzise den visuellen Eindruck, den Sabine Fernkorns Malerei immer wieder hinterlässt. Die Fließeigenschaften ihrer wässrigen Acrylfarbe geben ihren Bildern eine flüssige, fließende Anmutung. Die Bilder, ganz besonders die jüngst entstandenen, wirken oft, als sei die Farbe auf homöopathische Dosen verdünnt und das Licht in seinen feinsten Abstufungen durch das Auswaschen der Pigmente erzeugt worden. Die „rituelle“ Gewohnheit von Sabine Fernkorn, beim Malen jeder neuen Farbe Spurenelemente der zuvor verwendeten verdünnten Farbsubstanzen beizumischen, zeigt den Anspruch der Malerin, durch alle Farben eines Bildes einen tonalen Grundimpuls hindurchfließen zu lassen und sie auf diese Weise miteinander zu verbinden. Es ist ein überaus subtiler Anthropomorphismus in diesen lichthaltigen Arbeiten: Wie menschliche Haut wirken ihre Oberflächen, ebenso zart nuanciert und verletzlich. An Fernkorns neuesten Arbeiten lässt sich die seltene Beobachtung machen, dass Gemälde tatsächlich erbleichen oder erröten können.

V. Wie jede anspruchsvolle Malerei zeigen auch die Lichtspuren-Bilder von Sabine Fernkorn ihre Eigenständigkeit, man kann auch sagen: ihre Würde darin, dass sie sich prinzipiell nicht in ein anderes Medium übersetzen (und daher auch niemals angemessen fotografieren) lassen. Mehr noch, diese Bilder sind so wenig auf „visuelle Information“ reduzierbar, dass sich ihr Eigentliches, die Wirkung von Licht und Farbe, nicht in der Erinnerung „mitnehmen“ lässt. Was diese Arbeiten auszeichnet, ist nur dem direkten, geduldigen Anschauen zugänglich. Man kann sie nicht im Vorübergehen erfassen, ihr „Inhalt“ ist nicht begrifflich zu fixieren. Wie auch sollte sich die Licht-Sensibilität dieser Bilder beschreiben lassen, die Tatsache, dass sie in ihrer Wirkung noch auf kleinste Änderungen der Lichtverhältnisse reagieren? Man muss sehen, wie die Arbeiten aufblühen, sich öffnen, sich verschließen, je nachdem in welcher Lichtsituation sie sich aktuell befinden; sehen, wie sich ihre Farben, abhängig davon, in welcher Bilder-Nachbarschaft sie sich gerade befinden, aufhellen oder verdunkeln, einander steigern oder abmildern. Die Relativität, die subjektive Erlebnisqualität von Farb- und Lichtwahrnehmung wird beim Betrachten von Sabine Fernkorns Gemälden, insbesondere ihrer formal immer weiter reduzierten Arbeiten der letzten Jahre, zur ästhetischen Erfahrung.