Das Beichtstuhlprojekt, Vorgebirgspark Skulptur Köln 2016
Das Beichtstuhlprojekt, Vorgebirgspark Skulptur Köln 2016

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Das Beichtstuhlprojekt – Peter Lodermeyer

Keine Farbe ist so sehr mit Naturvorstellungen assoziiert wie Grün. Das Gras, die Bäume, Büsche und sonstige Pflanzen im Kölner Vorgebirgspark mögen im September schon nicht mehr ihre ganze sommerliche Frische aufweisen, doch noch immer signalisieren sie als Farbimpulse den Freizeit- und Erholungswert dieses Parks als Teil des Kölner Inneren Grüngürtels. Der Grünton, den der Besucher als ersten Eindruck von Sabine Fernkorns Beitrag zur „Vorgebirgspark Skulptur 2016“ wahrnimmt, steht jedoch in eigentümlicher Dissonanz zu den Grüntönen ringsum. Wenn man sich von den anderen Sondergärten her dem Staudengarten nähert, fällt vor allem der leicht ins Bläuliche spielende, fremd und künstlich wirkende Farbwert eines Objekts auf, das sich mitten auf der Rasenfläche erhebt. Man muss schon nah herangehen, um das Material zu identifizieren, das diese eigentümliche Färbung aufweist. Es handelt sich um Hartschaumplatten aus Polystyrol, besser bekannt unter dem Handelsnamen Styrodur. Üblicherweise werden solche Platten als Dämmmaterial im Hausbau verwendet, doch Sabine Fernkorn benutzt sie hier als Rohstoff für ein sehr eigenwilliges Bauwerk. Dass die flachen Styrodurplatten kein ideales Baumaterial sind, ist kaum zu übersehen. Von einem verborgenen Stützgerüst aus dünnen hohlen Aluminiumstäben, die in die Platten hineingetrieben sind, wird das Objekt zusammengehalten, dennoch wirkt es, durchaus gewollt, fragil und improvisiert – eine leichte, transportable, prinzipiell mobile „Hütte“.

Geht man um den etwa 2,20 Meter hohen und 1,80 Meter breiten Kunststoffquader herum, zeigt sich eine Überraschung. Auf der vermeintlichen Rückseite zeigt sich ein Zugang ins Innere, der durch einen purpurfarbenen Baumwollvorhang verhüllt ist. Der Vorhangstoff setzt einen auffällig feierlichen Akzent, der stark mit der Banalität des grünen Kunststoffs kontrastiert. Purpur und Grün bilden – zumindest in der Goetheschen „Farbenlehre“ – einen Komplementärkontrast. Purpur ist für Goethe die höchste aller Farben, weshalb er es im Farbkreis ganz oben anordnet. Sein unmittelbar benachbarter Farbwert Violett (auch dunkles Purpur genannt) ist in der Symbolik der katholischen Kirche die Farbe der Buße, der Besinnung und der Einkehr. Das ist für Sabine Fernkorns Arbeit mit dem Titel „Das Beichtstuhlprojekt“ durchaus von Bedeutung.

Allein schon am Farbkontrast zwischen Hüttenkonstruktion und Vorhang lässt sich erahnen, dass Sabine Fernkorn keine Bildhauerin, sondern Malerin ist und auf Farbe und Farbbeziehungen besonderen Wert legt. Ganz bewusst hat sie Styrodurplatten aus verschiedenen Chargen ausgewählt, weil diese leicht unterschiedliche Farbnuancen aufweisen. Wer die Hütte betritt, wird in dem kargen Innenraum einen Stuhl und einen aus zwei Tischböcken und einer Holzplattebestehenden Tisch vorfinden. Die Möbel stammen aus dem Atelier der Malerin und tragen Farbspuren, die auf jahrelange Benutzung hindeuten. Einen direkten Bezug zur Malerei stellen auch einige außen und innen an die Wände geklebte Stoffstreifen her. Es handelt sich dabei um „Pflaster“, die Fernkorn aus einem ihrer „Lichtspuren-Bilder“ geschnitten hat, um mit ihnen Beschädigungen in den Styrodurplatten, die beim Hineintreiben der Aluminiumstreben entstanden sind, zu „verarzten“. Deutlicher kann man nicht zum Ausdruck bringen, dass die Malerei eine wohltuende und heilsame Wirkung haben kann.

Man kann das „Beichtstuhlprojekt“ gewiss unter einem rein visuellen oder formalen Aspekt betrachten. Seine volle Wirkung aber entfaltet es nur, wenn man sich bewusst macht, dass es sich um so etwas wie eine Erfahrungsskulptur oder partizipatorische Installation handelt. Die Parkbesucher sind nämlich dazu eingeladen, einzeln in die Hütte einzutreten und auf dem bereitgestellten Stuhl Platz zu nehmen. Auf dem Tisch wird man eine kurze Handlungsanweisung finden, die einen dazu ermuntert, auf einem der bereitliegenden Zettel eine Begebenheit, Handlung oder Unterlassung zu notieren, die man bereut oder bedauert, die man „beichten“ möchte, oder aber einen Vorsatz zu formulieren, an den man sich zukünftig halten will. Wenn man wieder nach draußen tritt, wird man ein eisernes Feuerbecken vorfinden, in dem dieser Zettel in einer Art von rituellem Akt verbrannt wird. Als Dank für ihre Mitwirkung übergibt die Künstlerin allen Besuchern ihres „Beichtstuhls“ einen anderen Zettel, auf dem sie einen von ihr formulierten Satz notiert hat.

Nach etwa fünf Jahren gedanklicher Beschäftigung mit dieser Thematik hat Sabine Fernkorn im Vorgebirgspark erstmals einen Prototyp für ihr „Beichtstuhlprojekt“ realisiert. Dabei ist ihr wichtig, dass alle Bestandteile ihrer Konstruktion (mit Ausnahme des Styrodurplatten) bereits Lebens- und Benutzungsspuren aufweisen. Kunst und Leben sollen hier eng verflochten sein. Die Erfahrung, die sie den Besuchern mit ihrem Projekt ermöglicht, ist einerseits eine ästhetische, zugleich aber auch eine emotionale und psychologische, die im Idealfall weit über den Tag der Kunstaktion hinaus wirken kann.