Bestandsaufnahmen des Flüchtigen – Martin Gesing

Ergänzend zu den farbnuancierten und oftmals großformatigen 'Lichtspurenbildern' auf Nessel entstehen im Werk von Sabine Fernkorn seit vielen Jahren - wie nebenher, doch nicht absichtslos - Arbeiten auf Papier im Din A4 Format. Sie bilden eine eigene Werkgruppe mit mittlerweile weit über 700 Blättern. Zusammenfassend können sie als Farb-Zeichnungen bezeichnet werden, was sachlich zwar korrekt ist, ihrem vielschichtigen Charakter aber nicht gerecht wird. Viele von ihnen sind im weitesten Sinne Landschaftsbilder, auch wenn sie keine assoziierte Landschaft abbilden, doch die immer vorhandene Horizontlinie lenkt unsere Vorstellungen natürlich in diese Richtung. Wie sehr ihre Entstehung an die jahreszeitlich wechselnde Natur gebunden ist, zeigen ihre Einordnungen in „Summer Papers“, „Autumn Papers“ usw.

Begonnen daran hat ihre Arbeit im Sommer 2006, wobei Kohärenzen entstehen zu ihren früheren Papierarbeiten aus den 90er Jahren. Wie bei ihrer Malerei arbeitet Sabine Fernkorn auch bei den Papieren vorwiegend mit Lasuren. Sie verwendet stark verdünnte Acrylfarben, Beizen oder Tuschen, die in mehreren Schichten auf das speziell vorbereitete, doch ungrundierte und leicht saugende Papier aufgetragen werden.

Die eigentliche Bildidee dieser kleinen Etüden konstituiert sich erst im Malprozess, der ergebnisoffen und konzeptfrei begonnen wird. Leiten lässt sie sich allenfalls vom individuellen Verhalten ihres Malmaterials oder den Charaktereigenschaften unbestimmt gesetzter Liniengebilde und -gespinste. Kleine Formgebilde, die an Häuser, Gehöfte, Zelte oder Baumgruppen denken lassen, liegen oftmals gedankenverloren in der Ferne und ziehen unseren Blick und unsere Gedanken wie Fixpunkte auf sich, erzeugen bildliche Spannung. Jedes neue Blatt ist ein weiterer Baustein in einer erprobten Versuchsanordnung in Serie, deren Resultate jedoch nie vorhersehbar sind und daher überraschen. Erst im Überblick oder Rückblick ergeben sich motivische Verwandtschaften und inhaltliche Bezüge.

Sind ihre Leinwände eher epische Schilderungen, so sind die Papierarbeiten lyrische. Sind die Leinwände orchestral, so sind die Papiere kleine Spielstücke. Viele erscheinen wie bildliche Notationen von einem Flaniergang an einem Tag, der trotz oder gerade wegen seiner wolkenverhangenen und melancholischen Stimmung sehr inspirierend war. Insgesamt ist ihr Charakter eher „nordisch“, denn es geht in ihnen rauer zu als in den milden und sanften Farbraumbildern. Mancher Strich in den Papieren kratzt sich wie eine heisere Stimme durch den Raum.

Das genussreiche Empfinden von Sinneseindrücken und zugleich die Flüchtigkeit dieser Empfindung hat sie in ausdrucksstarken Bildfolgen festgehalten.